Zeitform: Präsens oder Präteritum

Präsens oder Präteritum? Die Wahl der richtigen Zeitform

Durchgängig Präsens? Oder Präsens und Präteritum gemischt? Die Frage, welche Zeitform in einer wissenschaftlichen Arbeit verwendet werden soll, gehört zu den häufigsten Fragen, die an unser Lektorat herangetragen werden. In diesem Artikel schaffen wir Klarheit.

Präsens – von vielen Richtlinien empfohlen

Viele Studierende gehen davon aus, dass Präsens für ihre Arbeit die Zeitform der Wahl ist. Dabei sind sie sich aber unsicher, ob das einheitlich für alle Teile und alle Sachverhalte gelten soll. Denn es ist irritierend zu lesen: 1980 untersucht Müller diese Frage – als wäre es gerade gewesen und nicht Jahrzehnte her. Und auch wenn Sie in Ihrer Bachelorarbeit zur tiergestützten Pädagogik in Kindertagesstätten schreiben: Im Folgenden untersuche ich, wie Pudel mit Kindern Kontakt aufnehmen, wird es wahrscheinlich nicht so sein, dass jetzt gerade Ihr Pudel im Auto sitzt und nur darauf wartet, die Kinder in der Kita zu bespaßen. Vielmehr wird sich das arme Tier vermutlich an nichts mehr erinnern, weil das Ganze schon eine Zeit zurückliegt: Die Studie ist durchgeführt und die Ergebnisse sind ausgewertet. Wann also Präsens – und wann nicht?

Grundsätzlich ist Präsens für das Verfassen von Texten recht beliebt. Dies gilt vor allem für das journalistische Schreiben: Hier gilt Präsens als packend, unmittelbar und näher dran am Geschehen. Manchmal ufert das fast aus und Präsens wird auch verwendet, wenn ein Geschehen bereits vorbei ist (vgl. Bastian Sick, Die unendliche Ausdehnung der Gegenwart)

Auch in einer wissenschaftlichen Arbeit ist Präsens die wohl wichtigste Zeitform: Denn Ihre Arbeit ist ein Schriftstück (bzw. eine Datei), das im Hier und Jetzt steht und bestimmte Ergebnisse präsentiert, die nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden sind. So wird es auch formuliert: In dieser Arbeit wird gezeigt, dass es so und so ist. – Als Ergebnis dieser Arbeit kann festgehalten werden, dass es so und so ist. Dass eine Arbeit somit nur in einer bestimmten Zeit aktuell ist (weil die Ergebnisse widerlegt werden oder veralten können), aber so tut, als seien die Ergebnisse von überzeitlicher Gültigkeit, weiß der Leser und kann es auch so einordnen.

Auch für Geschehnisse, die in der Vergangenheit liegen, kann Präsens verwendet werden. Dieses sogenannte historische Präsens verwenden Sie, wenn Sie geschichtliche Zusammenhänge in einem erzählenden Ton beschreiben:

„Die tiergestützte Pädagogik geht weit in die Vergangenheit zurück. Seit Jahrhunderten werden Tiere zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Dabei sind die Anfänge eher zufällig: Man beobachtet, dass Tiere eine positive Wirkung auf ältere, kranke oder behinderte Menschen ausüben. Bis diese Wirkung systematisch zum Einsatz kommt, ist es aber noch ein weiter Weg.“

Diese Zeitform sollten Sie im jeweiligen Kapitel möglichst durchhalten – was nicht einfach ist. Eine solche erzählende Darstellung halte ich für eine wissenschaftliche Arbeit auch nicht für angemessen; meines Erachtens passt sie besser in einen journalistischen oder populärwissenschaftlichen Text.

Durchgängig Präsens oder Präteritum? In einigen Ratgebern liest man, dass auf eine durchgängige Verwendung der Zeitform zu achten sei (z. B. hier). Das würde bedeuten, dass einheitlich immer Präsens oder aber immer Präteritum verwendet werden sollte. Der Wunsch nach Einheitlichkeit ist nachvollziehbar. Hier scheint mir dieser Anspruch für die gesamte Arbeit aber nicht vertretbar zu sein (und ist vielleicht auch nicht so gemeint). Sie sollten sich vielmehr die Mühe machen, bei der Frage nach der richtigen Zeitform den jeweiligen Kontext zu berücksichtigen.

Gewusst wie: Der Wechsel der Zeitformen

Bei der Wahl der Zeitform kommt es darauf an, was Sie gerade beschreiben. Sie sollten wie folgt unterscheiden:

  • Präsens verwenden Sie für Aussagen, die von überzeitlicher Gültigkeit sind, zum Beispiel Ergebnisse: Festhalten lässt sich, dass dies so und so ist.
  • Präteritum verwenden Sie für Abläufe, die in der Vergangenheit liegen und heute abgeschlossen sind: Fünf Kinder fanden die Stunde mit dem Pudel „toll“, zwei Kinder fanden sie „supertoll“.
  • Perfekt verwenden Sie, wenn die Ergebnisse eines Ereignisses bis in die heutige Zeit hineinwirken: Dreyer hat sich als einer der Ersten mit dem Thema beschäftigt.
  • Futur scheint auf den ersten Blick gut geeignet zu sein, wenn Sie ausführen, was Sie im Folgenden machen werden: Im Folgenden werde ich beschreiben … In der Praxis wird an solchen Stellen jedoch meist Präsens verwendet: Im Folgenden beschreibe ich … Warum? Im Deutschen wird häufig für die Beschreibung zukünftiger Dinge Präsens verwendet (nächstes Jahr kaufe ich mir einen Hund). Das darf daher auch in der Einleitung Ihrer Arbeit oder bei Überleitungen so sein.
  • Plusquamperfekt werden Sie am seltensten brauchen. Es ist jedoch erforderlich, wenn in einer Beschreibung vergangener Ereignisse eine weitere Vorzeitigkeit vorliegt: Dreyer hatte gerade seine Untersuchung vorgestellt, da führte Schulze einen neuen Aspekt in die Diskussion ein. Auch bei nachdem wird fast immer Plusquamperfekt verwendet: Nachdem die Lehrerin die Kinder begrüßt hatte, begann sie mit dem Unterricht. Plusquamperfekt wirkt oft sperrig und wird daher nur selten verwendet.

Wechsel der Zeitformen. Die durchgängige Verwendung einer einzelnen Zeitform wird es in einer wissenschaftlichen Arbeit kaum geben. Denn neben der chronologischen Darstellung der Forschung (im Präteritum) werden Sie immer wieder auch beschreiben, was ein Autor oder eine Autorin zum Thema beigetragen hat oder was allgemein gilt (Präsens). Hier ein längerer möglicher Ausschnitt aus einer Arbeit mit Begründung der jeweils gewählten Zeitform:

„Zu den Ersten, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben[Perfekt], gehört Müller [Müller gehört auch heute noch zu den Ersten, die sich damit beschäftigt haben, daher Präsens].
Sie beschreibt in ihrem Buch die Anforderungen wie folgt: … [In ihrem Buch wird es heute noch so beschrieben, daher Präsens]
Dreyer führte eine eigene Studie durch [die Durchführung der Studie ist heute abgeschlossen, daher Präteritum]. Dabei kam er zu folgendem Ergebnis: [damals kam er zu diesem Ergebnis – heute vielleicht zu einem anderen? Jedenfalls Präteritum]
Pudel sind gut hierfür geeignet. [Das Ergebnis wird so konstatiert; es steht heute noch so in seinem Buch (wenn es das Buch gäbe :)]
Nach der Jahrtausendwende ergab sich eine neue Richtung in der Forschung, wobei verstärkt die Kinder selbst zu Wort kamen. [Beschreibung des geschichtlichen Ablaufs der Forschung, daher Präteritum]
Hier ist Meier zu nennen. [Noch heute ist diese Autorin hier zu nennen]
Sie hat eine ausführliche Fragebogenstudie durchgeführt. [Die Ergebnisse wirken bis heute, daher Perfekt]
Ihre zentrale These ist, dass Hunde aller Rassen geeignet sind. [Präsens: Diese These steht noch heute so in ihrem Buch.]
Vor wenigen Jahren griff Schulze das Thema auf und ergänzte es um weitere Aspekte. So führte er kürzlich einen neuen Gedanken ein: … [chronologischer Verlauf der Forschung, daher Präteritum]“

Im zweiten Teil des Blogartikels (Welche Zeitform für welchen Teil der Arbeit?) zur Wahl der richtigen Zeitform lesen Sie mehr dazu, für welchen Teil Ihrer Bachelor-, Masterarbeit oder Dissertation Sie welche Zeitform verwenden sollten.

Im Rahmen des Wissenschaftslektorats unterstütze ich meine Kundinnen und Kunden bei der nicht nur korrekten, sondern auch logischen und sprachlich ansprechenden Verwendung der Zeitformen in einer wissenschaftlichen Arbeit.

© Dr. Anette Nagel. Artikel erschienen im November 2017.

Präsens oder Präteritum? Die Wahl der richtigen Zeitform