Kasuskongruenz

Wer A sagt, muss auch bei A bleiben – die Kasuskongruenz

Neulich las ich im Rahmen des Lektorats einer Bachelorarbeit folgende Formulierung: die Bedeutung des Staates als solchem. Gemeint ist, dass der Staat als solcher eine Bedeutung hat. Aber wie kommt die Autorin auf „solchem“? Für die Verwendung des Dativs gibt es hier keinen Grund; er ist laut Grammatikregeln nicht korrekt. Und dennoch wird an solchen und ähnlichen Wendungen häufig der Dativ verwendet. Aber warum? Dem möchte ich in diesem Beitrag einmal nachgehen.

Die Grammatikregel, um die es geht, ist eigentlich ganz einfach: Eine Apposition (Beschreibung, Beifügung) steht in der Regel im gleichen Fall (Kasus) wie das Bezugswort. Nehmen wir einmal als Bezugswort „Hund“ und als Apposition „mein treuer Begleiter“: der Hund, mein treuer Begleiter. Die genannte Regel lässt sich in diesem Fall recht einfach umsetzen:

  • Das ist der Hund, mein treuer Begleiter. (Wer? Nominativ)
  • Ich liebe meinen Hund, meinen treuen Begleiter. (Wen oder was? Akkusativ)
  • Ich gab das Leckerli meinem Hund, meinem treuen Begleiter. (Wem? Dativ)
  • Das ist das Halsband meines Hundes, meines treuen Begleiters. (Wessen? Genitiv)

Das wird vermutlich noch alles recht plausibel sein.

Eine Apposition kann aber auch mit „als“ an das Bezugswort angeschlossen werden, zum Beispiel so: mein Hund als mein treuer Begleiter. Hier gilt die gleiche Grammatikregel: Die Apposition steht im gleichen Kasus wie das Bezugswort. Wenn ich also der Auffassung bin, dass mein Hund mein treuer Begleiter ist, dann verstehe ich meinen Hund als meinen treuen Begleiter (wen oder was verstehe ich so? = Akkusativ). Dann gebe ich auch das Leckerli meinem Hund als meinem treuen Begleiter (wem gebe ich es? = Dativ). Und das Halsband ist eben das Halsband meines Hundes als meines treuen Begleiters (wessen Halsband? = Genitiv).

Wer A sagt, muss auch bei A bleiben – die Kasuskongruenz

Die Apposition steht also im gleichen Kasus wie das Bezugswort: Nominativ bleibt Nominativ, Akkusativ bleibt Akkusativ, Dativ bleibt Dativ – und Genitiv bleibt Genitiv und wechselt nicht auf einmal zu Dativ.

Genau das ist aber in der Praxis häufig der Fall, wenn die Apposition mit „als“ angeschlossen wird. Da heißt es dann oft: das Verständnis des Hundes als meinem treuen Begleiter (statt: … als meines treuen Begleiters). Oder: die Rede Peter Meiers als dem Leiter des Unternehmens (richtig ist: des Leiters). Oder eben: die Bedeutung des Staates als solchem (statt: als eines solchen). Statt Genitiv wird in solchen Fällen der Dativ verwendet.

Der Dativ lässt sich in diesen Fällen aber nicht legitimieren. Denn die Präposition als mit Dativ zu verwenden ist nach den geltenden Grammatikregeln nicht möglich (vgl. dazu Bopp 2015).

Im Zweifelsfall den Dativ?

Allerdings ist dieser Ersatzdativ keine Erfindung der neueren Zeit, sondern lässt sich schon im 19. Jahrhundert nachweisen (vgl. Gippert 1981, 32). Wer ihn heute verwendet, befindet sich also in guter Gesellschaft. Zahlreiche Beispiele belegen seinen Gebrauch: Der Wasserpegel des Jangtse, Chinas längstem Fluss (aus: Vater 2015, 226), Ich habe keine Entschuldigung für diese Niederlage, der höchsten seit 1984 (aus: Gippert 1981, 32), Ich sah in Richtung meines Chefs, dem größten Besserwisser überhaupt (aus: Bopp 2015).

Und auch bei Aufzählungen nach einer Präposition wird häufig der Dativ verwendet, auch wenn er dort eigentlich nichts zu suchen hat: Das Interesse richtet sich auf den Gegenstand – das klingt plausibel, denn nach „auf“ kommt hier Akkusativ (auf wen oder was richtet sich das Interesse?). Doch werden dann weitere Dinge aufgezählt, so stehen sie oft – aus welchen Gründen auch immer – im Dativ: Das Interesse richtet sich auf den Gegenstand, der Definition von Begriffen und dem Beantworten der Forschungsfrage (richtig wäre: Das Interesse richtet sich auf … die Definition … und auf das Beantworten der Forschungsfrage).

Oder hier: Dies erfolgt durch den Prozess, dem Sampling und der Erstellung. Auch hier gilt: einmal Akkusativ, immer Akkusativ. Richtig wäre: Dies erfolgt durch den Prozess, [durch] das Sampling und [durch] die Erstellung. In der Praxis aber scheint oft zu gelten: im Zweifel den Dativ.

Über die Gründe für die Beliebtheit des Dativs kann ich nur spekulieren. Offensichtlich wird intuitiv dieser Kasus gewählt wird, wenn kein anderer für plausibel gehalten wird: Der Genitiv klingt manchmal ungewöhnlich und gespreizt, der Akkusativ hingegen zu banal (gerade weil er oft gleichlautende Formen mit dem Nominativ hat). Der Dativ scheint hingegen für viele ein gutes Mittelmaß zu bieten – warum also nicht? Dann kommt es zu Formen wie diesen: Freitags, als dem ruhigsten Tage … Man bediente sich des Russischen als schriftsprachlichem Medium … Heute als dem heiligen Pfingstfeste … (Beispiele aus Gippert 1981, 32 f.).

Der (falsche) Dativ nach „als“ und nach vielen Präpositionen kann somit auf eine lange Geschichte zurückblicken – was ihn deshalb meines Erachtens aber noch nicht richtig macht. Genauso alt wie der falsche Gebrauch des Dativs sind auch die Hinweise in Grammatikbüchern, dass der Dativ hier nicht hingehört (wie in Bopp 2015 mit Verweis auf die Vollständige Grammatik der neuhochdeutschen Sprache von Heinrich Bauer von 1832 verdeutlicht wird).

Lässt sich der Genitiv nicht umgehen?

Wenn Sie sich gar nicht mit dem Genitiv nach „als“ anfreunden können, gibt es (zum Glück) eine Möglichkeit, den Satz zu ändern: Sie können nämlich den Nominativ verwenden, wenn Sie den Artikel weglassen. Dann heißt es nicht: die Auffassung des Hundes als eines treuen Begleiters, sondern: die Auffassung des Hundes als treuer Begleiter. Gemeint ist dann: Der Hund wird als treuer Begleiter aufgefasst (vgl. auch Mackowiak 2008, 21–23).

Bei den anderen Fällen Dativ und Akkusativ ist das so nicht möglich. Hier geht nur die sogenannte Kasuskongruenz, also der gleiche Fall für Apposition und Bezugswort, zum Beispiel Von meinem Hund als treuem Begleiter erwarte ich das. oder: Ohne einen Hund als treuen Begleiter geht bei mir gar nichts.

Wie gehe ich nun im Rahmen des Wissenschaftslektorats mit Formulierungen um, die laut gängigen Grammatikregeln nicht korrekt sind? In solchen Fällen ändere ich die Stelle direkt im Text. Außerdem begründe ich in der Dokumentation die Textänderung, damit Sie diese nachvollziehen können.

Anmerkungen, Beispiele und Tipps aus dem Lektorat

  • Wie muss es hier weitergehen? Es geht um die Einführung von Religion als eigenständige[..] Unterrichtsfach. Hier haben Sie zwei Möglichkeiten. Sie können den Dativ wählen, der nach „von“ üblicherweise kommt: als eigenständigem Unterrichtsfach. (Ein Beispiel übrigens dafür, dass der Dativ nach „als“ nicht immer falsch ist – hier wird er aber nicht durch „als“ begründet, sondern durch „von“.) Oder Sie können Nominativ wählen: Religion wird als eigenständiges Unterrichtsfach eingeführt. Dann heißt es: die Einführung von Religion als eigenständiges Unterrichtsfach.
  • Was halten Sie von folgendem Satz? Manchmal führt eine Beratung zur Auswahl eines anderen als dem ursprünglich vorgesehenen Verfahren. Hier ist der Fall recht eindeutig: Richtig ist: … Auswahl eines anderen als des ursprünglich vorgesehenen Verfahrens.
  • Ein Tipp: Angenommen, Sie sind bei Aufzählungen nach einer Präposition unsicher, wie es dann heißen muss, zum Beispiel hier: durch einen Versuch, eine[..] Probelauf und ein[..] Testphase. Rufen Sie sich dann am besten dann die Präposition bei jedem Aufzählungspunkt wieder in Erinnerung. Dann wird deutlich, wie es weitergeht: durch einen Versuch, [durch] einen Probelauf und [durch] eine Testphase. Der Dativ (einem Probelauf und einer Testphase) wäre hier fehl am Platze.

Gern prüfe ich im Rahmen des Korrektorats Ihrer Bachelor-, Masterarbeit oder Dissertation, ob Dativ und Genitiv überall am richtigen Platz stehen.

Literatur

Bopp, Stephan (2015): Die Apposition und der Dativ. Aus: Fragen Sie Dr. Bopp! 14.12.2015. Online unter https://blog.leo.org/2015/12/14/die-apposition-und-der-dativ/ (Abruf 11.05.2023).

canoonet (2018): Die Apposition. Online unter https://dict.leo.org/grammatik/deutsch/Satz/Satzgliedbau/Nomen/Apposition.html (Abruf am 11.10.2023).

Gippert, Jost (1981): Zur Dativ-Apposition im Deutschen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, Heft 103, 31–62. Online unter https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/6168/file/Dativ.pdf (Abruf 11.05.2023).

Mackowiak, Klaus (2008): Die 101 häufigsten Fehler im Deutschen und wie man sie vermeidet. München.

Vater, Heinz (2015): Kasusveränderungen im gegenwärtigen Deutschen, in: Zeitschrift des Verbandes polnischer Germanisten, 4: 217–232, online unter www.ejournals.eu/pliki/art/4782/ (Abruf 11.05.2023).

© Dr. Anette Nagel. Artikel erschienen im März 2018, zuletzt bearbeitet im Mai 2023.

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