Junger Pudel

Richtiges Zitieren (3): Wann sollte ich wörtlich und wann sinngemäß zitieren?

Ein wörtliches Zitat ist direkt und unverfälscht und damit gegenüber einem sinngemäßen Zitat zu bevorzugen – davon gehen offenbar viele Studierende aus, wie ich im Rahmen des Wissenschaftslektorats immer wieder feststelle. Das Gegenteil ist jedoch meist der Fall. Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, wann Sie wörtlich zitieren sollten – und warum sinngemäße Zitate meist zu bevorzugen sind.

Die eigene Formulierung kann in Präzision und Klarheit niemals an das Original heranreichen. Dies vermuten jedenfalls viele Studierende und gehen deshalb davon aus, dass ein direktes Zitat generell besser ist als ein indirektes Zitat. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr sollte ein indirektes Zitat der Normalfall sein – und nur unter bestimmten Voraussetzungen ein wörtliches Zitat in Erwägung gezogen werden.

Ein konkretes Beispiel: In Ihrer Arbeit zum Thema tiergestützte Pädagogik untersuchen Sie die Eignung von Pudeln für den Einsatz in Kindertagesstätten (dieses Beispiel hatten wir hier eingeführt). Nun möchten Sie darlegen, inwiefern die Fellbeschaffenheit ein Kriterium für die Eignung einer bestimmten Hunderasse in einem Kindergarten sein kann. Hierzu finden Sie eine Textstelle in dem Buch von Marlies Müller: Demnach sind Pudel bei Kindern deshalb so beliebt, weil ihr Fell so „weich wie Watte und so wuschelig wie Wolle“ ist. Viele Kinder möchten deshalb spontan einen Pudel streicheln, was im Rahmen der tiergestützten Pädagogik als Vorteil eines Pudels gegenüber einem Kurzhaarhund genutzt werden könnte. Diese Textstelle bietet sich in besonderer Weise als wörtliches Zitat an: Nach Marlies Müller ist das Fell von Pudeln so „weich wie Watte und so wuschelig wie Wolle“ (Müller 1950: 40).

Warum bietet sich hier ein wörtliches Zitat an? Weil nicht nur der inhaltliche Aspekt bedeutsam ist, sondern gerade Wortwahl und Formulierung: Es wurde eine rhetorische Figur eingesetzt, die in wissenschaftlichen Texten eher unüblich ist. Die Alliteration, also die Verwendung des gleichen Anfangsbuchstabens bei mehreren Wörtern eines Satzes, verbindet hier die inhaltliche Aussage sehr schön mit einer emotionalen Komponente: dem Wohlgefühl beim Streicheln eines Pudels. Daher ist in diesem Fall das wörtliche Zitat zu bevorzugen.

Zum Vergleich: Ein sinngemäßes Zitat könnte lauten: Nach Marlies Müller weist das Fell von Pudeln eine watte- bzw. wollähnliche Struktur auf (vgl. Müller 1950: 40). Abgesehen davon, dass hier der Aspekt des Weichen und Wuscheligen nicht genannt wird, wird auch die Verbindung zwischen der Fellbeschaffenheit und der spontanen Zuneigung, die Kinder oft für Pudel empfinden, nicht deutlich, und um diese soll es ja gerade gehen. Ein sinngemäßes Zitat ist hier nicht zu empfehlen; hier kommt es wirklich auf den Wortlaut des Originals und den dort vorhandenen konnotativen Mehrwert an.

Damit lässt sich eine wichtige Regel für den Gebrauch von wörtlichen Zitaten formulieren: Je pointierter eine Formulierung ist, desto eher bietet sich ein wörtliches Zitat an.

Daher sollten Sie sorgfältig abwägen, wann ein wörtliches Zitat überhaupt angeraten ist. Bei der Darstellung allgemeiner Sachverhalte ist in der Regel ein sinngemäßes Zitat besser. Je pointierter die Wortwahl des Originals und je spezifischer der Aspekt, um den es gerade geht, desto eher kann auch ein wörtliches Zitat verwendet werden.

© Dr. Anette Nagel. Artikel erschienen im November 2016.

Richtiges Zitieren (3): Wann sollte ich wörtlich und wann sinngemäß zitieren?